Bulletin Nr. 10 – Melbourne – Adelaide – Fremantle – Singapur

Bulletin Nr. 10 – von Melbourne bis Singapur auf der CHOPIN

Tagesberichte (Erlebnisse, Erfahrungen, Begebenheiten, Lustiges, Tipps)
81 Mo 8.1.18 Melbourne – noch mal Landluft tanken
Zimmer gut, Wetter bewölkt mit sonnigen Abschnitten am Mittag, kühl, 20° um 12 Uhr. Morgens leichte Regenschauer, die es mir einfach machen, einige Mails zu erledigen, mich um das Zusammenstellen meiner Reisepapiere zu kümmern, Daten zu den Schiffen Chopin und Centaurus einzuholen.
Statt Flußwanderung wende ich mich in Richtung Infozentrum der Stadt Melbourne und erlebe so das ganz normale Leben eines Touristen in einer Millionenstadt. Gehwege voll, Fußgängerüberwege voll, alles voll., auch das Touristenzentrum. Dann eben Selbststudium der Melbourne Karte und Punkte für den nächsten Tag markiert ohne Schlange stehen zu müssen. Diese Tätigkeit ist ein absolutes Trauma bei mir. Kommt vom Tage lang warten an den Grenzen mit dem LKW. Wahrscheinlich durch irgendeine Therapie heilbar, aber ich bin bis jetzt gut damit klar gekommen, auch wenn ich damit manches Schnäppchen verpasst habe.

82 Di 9.1.18 Melbourne – Landluft tanken – Stadt anschauen
Da die Reiseleitung ausfällt, stehe ich um 8 Uhr als mein eigener Reiseleiter auf. Draußen blauer Himmel, Sonnenschein, 20° – beste Voraussetzungen für eine Stadtrundfahrt. Ich entscheide mich für den Circle mit der Oldie Tram, welche die gesamte Innenstadt umkreist und alle 200 bis 300m stoppt und obendrein kostenlos genutzt werden kann. Tolles Angebot der Stadt. Wäre ein gutes Beispiel für den öffentlichen Nahverkehr. Natürlich eine riesige Konkurrenz für die Sightseeing Busse, wie man an deren vielen leerer Sitze sieht. In der Tram gibt es allerdings an vielen Stationen keine Sitze mehr. Körperkontakt ist gefragt und damit auch der Hemdentest. – Niemand verlässt die Bahn, also bestanden.
Ich steige 6 Mal aus, um mir die baulichen Sehenswürdigkeiten Melbournes anzuschauen, also wie überall das Rathaus, das Parlamentsgebäude, das Edelhotel Windsor und den Central-Viktoria-Market. Dazu noch zwei Parkanlagen, die wirklich wunderschön sind. Den 3. Park passiere ich mit der Straßenbahn, da sich dort die Bäume, die Wege und der Rasen wiederholt. Was sonst? Nur die auf dem Rasen sich lümmelnden Menschen sind tatsächlich andere.
Während das Menschenaufkommen in den Parks sehr überschaubar bleibt, ist die Stadt dagegen prall gefüllt. Wo viele sind, scheinen alle hinzuwollen. Den Cappu trinke ich in der fast menschenleeren Parallelstraße, um mich danach im Viktoriamarkt in der Menge schieben zu lassen. In den offenen Markthallen verkaufen vor allem asiatische Händler alles was man braucht und nicht braucht. Im geschlossenen Markt bieten die Handwerker der Fische, des Fleisches und der Milch jeweils in ihren Bereichen alles an, was man aus diesen Grundsubstanzen herstellen oder gleich roh essen kann. Immer gleich mehrere Stände mit ähnlichem Angebot bewerben ihre Produkte. Einige mit Marktschreiern, die geschickt Fische in eine Tüte packen und einen hohen Preis nennen und dann immer noch einen weiteren Fisch reinpacken oder wieder rausnehmen, bis ein Kunde zuschlägt. Wer hier nicht aufpasst macht kein Schnäppchen, sondern wird geschnappt.

Zum Schluss lande ich im neuen Jachthafen und sehe von hier auch bereits die Ladekräne des Containerhafens. Hier wurde in den vergangenen 20 Jahren alles neu gebaut. Vor allem Luxuswohnungen an den Hafenanlagen entlang. Der Fußweg für die Jachtbesitzer wird kürzer und von ihren Loggias können sie immer wieder auf ihre Jacht schauen und sich daran erfreuen. Hier stehen glitzernde Hochhaus-Fassaden neben kleineren kubischen Wohneinheiten, deren Wände ausschließlich aus Glas bestehen. Wie in allen neunen „Doc-Lands“ gibt es hier nur eine Richtung: Luxus pur. Dazu kommen weitläufige Promenaden und viele leer stehende bzw. aufgegebene Lokale in den Erdgeschossen. Die Verlierer im Spiel um das große Geld. Wer sich in einer solchen Gegend ein Ladenlokal mietet, der braucht vor allem eine Geschäftsidee, mit denen er die Kunden in dieser Gegend melken kann. Deren Bedürfnisse bewegen sich weit weg von dem, was der Otto-Normal-verbraucher benötigt. Einige Geschäftsräume haben sich auf Events spezialisiert, wobei das durch die abgedunkelten Scheiben sichtbare Interieur auf Events der oberen Schichten schließen lässt. Unter goldenen Handläufen geht hier nichts. Am Dienstagnachmittag jedenfalls scheinen die Melbourner nicht in diese Gegend zu kommen. Möglicherweise sind das Abendtreffpunkte oder Wochenend-ausflüge.
Während meines Rundganges auf den breiten Holzstegen stoße ich innerhalb einer Stunde auf maximal 10 Personen, davon 5 Backpacker aus Deutschland (man hört´s halt). Zwei davon spreche ich an und frage sie nach ihren Gründen, nach Australien zu kommen – sowie weitere 60000 Backpacker aus Deutschland. Die Antworten sind einfach. Weil das Land am anderen Ende der Welt liegt und man hier durch das Land ziehen kann, auch mit Wohnmobil. Und was wurde besucht: es kommen alle Hot-Spots als Antwort, wie Fraser-Island, White Sunday, Cairns, Airli Beach, Noosa, Stratebroke Island etc.. Eben alle Punkte, die in den Communities geliket werden.
Outback ist zu uninteressant, weil die Strecken so weit sind und man nichts zu sehen bekommt. Umweltprobleme – welche? Falls welche bekannt sind, wird Amerika als viel schlimmer angesehen, aber auch Deutschland mit dem Dieselskandal. Eine Antwort war, dass in Australien die Mülltrennung (!) eingeführt wurde und ganz gut klappen würde. Nun ja, immerhin ein Grundwissen scheint vorhanden zu sein. Zur Geschichte Australiens befragt, kommen nicht viele Detailkenntnisse. Und wenn man die Vernichtung der Aborigines anspricht, wird Amerika mit den Indianern dagegen gehalten. Der Vergleich dient fast schon als Rechtfertigung nach dem Motto, „wenn die anderen das getan haben, dann muss Australien kein schlechtes Gewissen haben, wenn hier das Gleiche passiert ist.“ Das Wissen beschränkt sich vor allem auf die Treffpunkte und den Fun, der in den sozialen Medien kommuniziert wird. –
Allerdings: es dürfte heute wahrscheinlich normal sein bei jüngeren Reisenden, die vor allem eines wollen: Spaß haben an der Reise, sich treffen, sich vergnügen und hinterher einen tollen Aufenthalt in Australien gehabt zu haben. Durchschnittlich beträgt der Aufenthalt von Backpackern aus Deutschland 70 Tage. Eigentlich Zeit genug, um sich mit dem Land näher zu beschäftigen. Irgendwie hat man den Eindruck, dass man sich als Backpacker die zuhause geschürten Illusionen über das Traumland Australien nicht wegnehmen lassen will. – Also Vorsicht: hier wird man schnell zum Miesepeter, wenn man andere Wahrheiten anspricht, wie die der Backpackerwerbung. Andererseits: es war schon immer das Recht der Jugend, spontan und frei von irgendwelchen „schwereren“ Überlegungen loszulegen und Erfahrungen zu sammeln. Das passiert hier auf jeden Fall und ist allemal besser, als zuhause zu bleiben. Der eine oder andere wird später die Erfahrungen der Reise mit der Realität ergänzen. Ein Klick auf sein Magnifikat informiert in Sekunden.
Er Rückweg führt am träge fließenden Yarra-River entlang bis zur Schneckennudelbude. Um 17 Uhr steht der frisch gebrühte Kaffee und Orlemanns Beste auf dem Tisch. Insgesamt ein guter Tag.
Melbourne ist tatsächlich eine schöne Stadt, die mit ihrer Offenheit in der Gestaltung und ihrer Weitläufigkeit durchaus Charme hat, ähnlich Adelaide, nur insgesamt größer und durch den Hafen in der Stadt auch attraktiver. Dass auch hier wie in Moskau, Peking, Shanghai, Hongkong, Brisbane und Sydney die jeweiligen Skylines das Stadtbild von weitem prägen, war klar. Damit möchte ich nicht die Architekturkunst und die Ideen schmähen, die hinter diesen Gebäuden stecken. Aber es sind und bleiben Protzbauten für mich, die sich weltweit gegenseitig hochschaukeln bis es einem Architekten gelingt, ein schwebendes Hochhaus zu konstruieren, das ohne Fundamente auskommt und nur auf Luft- und/oder Wassersäulen steht, die mittels riesigen Kompressoren den XXXL-Protzling in der Luft halten. Nach diesem Tag wird nur noch das Bauen auf anderen Planeten als etwas Besonderes betrachtet werden. Alles andere ist Normalität.

83 Mi 10.1.18 Melbourne – die Südseite am anderen Ufer des Yarra
Letzter Tag in Melbourne, letzte Übernachtung in einem australischen Hotel, alles irgendwie das letzte Mal, obwohl alles so normal ist, weil jedes Mal das letzte Mal ist.
Der Südhafen-Walk stand auf dem Plan. Ähnliches Bild wie gestern, aber alles noch eine Nummer größer, breiter und für mehr Menschen ausgelegt. Was ich gestern vom anderen Ufer gesehen hatte sehe ich jetzt direkt vor mir. Luxus pur, Premium XXXL. Nur in den Erdgeschossen gibt es neben mondänen Cafés und Restaurants ein paar einfachere Geschäfte, deren Inhaber immer der gleiche zu sein scheint. Es ist die Firma „Lease“, die hier kräftig investiert. Die Glasfronten verklebt sie von innen mit Papier, so als wäre das Innere nicht für das Auge des Normalbürgers bestimmt. Wäre interessant zu erfahren, was diese Firma in den vielen angemieteten Lokalen lagert. Vielleicht staubfreie Luft für die Asiaten? Die könnte tatsächlich einmal teuer werden, wenn die Bäume in Australien nicht schnell genug wachsen. – Allerdings hat Melbourne mit diesem Problem nicht so zu kämpfen wie andere Städte, weil es hier mehr regnet und die Temperaturen eher Mitteleuropa entsprechen. Aber in Anbetracht des Klimawandels trotzdem eine interessante Spekulation.
Und dann sehe ich zwischen den Glaskästen mit den aufgetakelten Ladies plötzlich eine Affenwald-Kletteranlage der Firma Richter aus Deutschland. Wie gesagt, hier kann nichts teuer genug sein. Da muss ich ein paar Fotos machen, auch von den rissigen Oberflächen, die uns in Deutschland um die Ohren geschlagen würden. Ich werde dem Importeur unsere Unterlagen zukommen lassen. Was Richter hier bietet, können wir schon lange. Ich merke, dass die Heimat nach der Ente im Pool, dem Coburg in Melbourne und jetzt mit dem Affenwald näher rückt, verdammt schnell näher rückt. Und das zwischen den Luxusglaskästen in Australiens Hauptstadt von New South Wales . Gut, dass morgen erst einmal 40 Tage Schiff anstehen. Auf dem Indischen Ozean dürften die Wieder-erkennungsmerkmale seltener werden, höchstens in Form von Träumen nach seligen Weinrunden mit den anderen Passagieren. Könnten ja durchaus trinkfeste Engländer oder Schweden sein. Da geht es dann darum, die Ehre meines Großvaters hochzuhalten, der in seinen Zeiten als Holzfäller bekannt dafür war, dass er alle anderen unter den Tisch gesoffen hat. Als Kind habe ich noch die Geschichten mitbekommen, wie die Holzfäller bei Regenwetter im Hundsbach in einer Kneipe auf besseres Wetter gewartet hatten und in dieser Zeit das Bier aus dem weitergereichten Eimer getrunken haben. Quasi ein Gentest der besonderen Art, der von den eigenen Kindern äußerst kritisch gesehen würde. Machen würde ich den trotzdem. Auch weil mir ein Saunagang in Finnland in Erinnerung bleibt.
Dort wurden wir von der Gastfamilie zum Saunagang eingeladen und der Hausherr wollte uns zeigen, bis zu welchen Temperaturen ein Finne in der Sauna ausharren kann. Mein Jugendvorteil sorgte dafür, dass der gute Mann halb ohnmächtig aus der Sauna taumelte und von seiner Frau mit Alkoholumschlägen wiedererweckt werden musste, während ich noch – mit leichtem Schwindel – in der Sauna einige die Anstandsminuten ausharrte. Im Nachhinein war das keine gute Aktion, weil die Gastfreundschaft hier automatisch den Hausherren als Sieger hervorgehen lassen muss. Aber mit gerade mal 22 Jahren wollte ich wohl zeigen, wo der Bartel den Most holt. Sorry lieber Jyrinki.
Ach so, ich war ja an der South-Bank. Hier ist alles breiter und für Menschenmassen ausgelegt, die wohl abends oder am Wochenende in 6-er Reihen gehen, 6 nebeneinander in eine und 6 nebeneinander in die andere Richtung. Für eine 12er Menschenreihe sollten die Boulevards reichen.
Wie gesagt, Melbourne ist eine schöne Stadt für Städter und für Bauern, die mal sehen wollen, wie Stadt funktioniert. Am Ende geht der Bauer wieder aufs langweilige Land und der Städter bleibt in der für ihn meist ebenso langweiligen, weil gewohnten Stadt und freut sich, dass er Städtler ist und kein Bauer. Am Bahnhof gibt es den 2. Cappu. 30 Minuten nochmals der Hektik zuschauen, dem Rennen und Hetzen, Rufen, Schreien und dazwischen ein Bettler mit einem Einkaufwagen voller Plastiktüten. Der Abschied fällt leicht. Mehr als vorher weiß ich jetzt, dass ich ein Landmensch bin und nehme die bekannten , abschätzenden Kommentare der Städtler gerne in Kauf. – Jedem das Seine.
Ich kaufe noch 1 kg Peru-Original-Arabica-Kaffee für die Schiffszeit und beende damit endgültig die Anwesenheit von Robert Timms in meiner Kaffeeküche. Die Beutel sind zur Not eine wirklich gute Sache, aber Filterkaffee bleibt Filterkaffee und Robert bleibt Robert.
Im Hotel hole ich mir noch zur Happy Hour-Zeit von 16-19 Uhr zwei Gläser Rotwein und stoße auf Australien an. Dem Land, das mich vom 21.11. 17 bis 11.1.18 8 Wochen begeistert und entgeistert hat. Es war eine gefühlt lange Zeit, eine volle Zeit, eine tolle Zeit, bei der es Zeit wurde, sich diese Zeit zu nehmen. Die Wochen mit Felix bleiben unvergessen und die bisherige Reise ebenso. Ich kann nur jedem raten, wenn es passt, eine solche Reise – egal wohin – zu unternehmen. Alleine oder zu zweit, je nachdem, was man von einer solchen Reise für sich gewinnen möchte. Sowas geht nicht ohne Unsicherheit und Ängste, aber im Laufe der Zeit, lernt man mit allem so umzugehen, dass es sich zum Positiven wendet ganz nach dem uralten Spruch: Wer eine Reise tun, der kann was erleben. Genau!!!!! Meine Mutter würde mich bei meiner Rückkehr mit den Worten empfangen: „So, bisch widder do?“ Auch nach 5 Monaten. Und danach könnte ich das erzählen, was ich erzählen will und das Nichterzählte hätte sie sich an zwei Fingern selbst zusammengezählt.
Am Rande bekomme ich noch mit, dass sich die Zimmer-Magnetkarte bei Kontakt mit dem Mobil entlädt und nicht mehr funktioniert. Jetzt wird mir im Nachhinein klar, warum ich öfters zur Rezeption in Hotels musste. – Wenn man´s nicht weiß, erlebt man halt einen Scheiß.

84 Do 11.1.18 Melbourne ade – auf das Schiff gehen tut gut
Die letzte Nacht auf dem Festland endete um 6 Uhr morgens. Nicht weil ich müssen musste, sondern weil ich wollen wollte. Das Boarding heute bringt den Kopf bereits am frühen Morgen wieder in Schwung. In Ruhe einen selbst Gebrühten, dazu inzwischen mittelschwer trockenes Körner-Gesund-Brot mit Käse, Salami und spanischem Schinken und als Feuchtigkeitsgarant für das Brot, die australischen Cherrytomaten. Leicht zu schneiden, fast kein Geschmack aber eben besser wie Wasser auf das Brot schütten. Schließlich reise ich nicht bis Australien, um dann bei Wasser und Brot im Hotel zu frühstücken.
Zwischendurch sehe ich nochmal genauer in die Fenster an der Backsteinwand gegenüber. Dahinter kann ich Stockbetten erkennen und Kleider. Schuhe stehen am Gitter vor dem Fenster, vermutlich Backpacker aus der Schweiz. – Die Vermieter dieser Spezialhotels für die Hundertausende von Backpackern machen richtig Kasse. Die Übernachtung kostet zwar nur um die 20 Dollar, aber mit 6 Leuten in der Bude sind das auch 120 Dollar für einen Raum bei geringstem Aufwand. Hauptsache Bett und Etagen-WC. Jedes normale Hotel hat eine geringere Gewinnmarge und muss sich mehr Kritik an den Zimmern anhören, wie die Schlauesten der Branche, die Backpack-Hotel-Winners. Selbst meistens nicht mehr im täglichen Betrieb tätig – da arbeiten Backpacker – sondern an anderen Orten, wo die Zimmer größer und der Luxus als Belohnung für die geniale Idee der Pack-together-Hotels ® (auf Deutsch: Pack die Backpacker zusammen-Hotels) erlebt werden kann.
Nach dem Rucksackpacken geht’s auf die Straße zum UBER-Test und nach dessen Bestehen, steige ich 30 Sekunden später in das Taxi ein. Für den Fahrer eine nie gefahrene Strecke, aber mittels Navi kein Problem. Um 10,15 stehe ich im Eingangs-Securitybüro zur Pass-Kontrolle , 5 Minuten auf der anderen Seite des Zaunes auf dem gesicherten Hafengelände. Ich werde mit einem Kleinbus zum Schiff gefahren, da gehen auf diesen Strecken strengstens verboten ist. Es geht mit Rucksack, Kleinrucksack und Gitarre ca. 50 Stufen hoch. Das ist zwar keinerlei Problem, aber dass die vor mir hochsteigenden Jung-Zöllner nicht einmal anbieten zu helfen, erinnert mich an die Geschichte mit der Gitarre im Bus. – Hilfsbereitschaft scheint hier bei der Jugend so eine Art Fremdwort zu sein. Möglicherweise wurde es auch als veraltet in den sozialen Medien down geliket.
Von oben kommt mir dann ein Besatzungsmitglied entgegen und übernimmt den kleinen Rucksack. Auch jung, aber dunkelhäutig. Kurze Begrüßung als Passenger und schon stehe ich im Officer Raum fünf Zöllnern und der Chefinspektorin gegenüber. Kurze Verwirrung, weil ich zunächst für den Kapitän gehalten werde, wie ich so ohne Gepäck im Raum stehe. Der meldet sich aber dann sofort zu Wort.
Offensichtlich gilt ein älterer Herr mit ergrauten Haaren und seriösem Aussehen beim Zoll als der Kapitän auf dem Schiff. : ))))))))))))))) Die Uniform des Kapitäns war zunächst nicht bemerkt worden , sonst hätten die Sterne auf der Schulterklappe alles geklärt. Um solche Verwechslungen zu vermeiden und um den Rang des Gegenüber zu erkennen, sind die Schulterklappen mit Symbolen – Sterne und Streifen – vor Urzeiten eingeführt worden. Je mehr Sterne oder Streifen, desto tiefer die Verbeugung. Bei fünf Sternen empfiehlt es sich der Ehrerbietung wegen, mit der Schaufel noch ein Loch zu graben, damit der Kopf mit dem Verstand noch tiefer sinken kann. Diese Maßnahme erspart einem unter Umständen das Stiefel lecken, was manchen der Sterne- und Streifenpörtner noch lieber wäre. Die Allertollsten unter diesen Machtkreaturen vertragen neben sich keine Menschen mit Selbstachtung und Selbstbewusstsein, sie haben hinten immer alles offen für ihre Untergebenen.
Folgende Zeichen sollte man sich merken, bevor man aufs Schiff geht:
Kapitän (4 Streifen + Stern oder einem nautischen Symbol)
Chief Engineer (Leiter der Maschine)(3,5 Streifen + Zahnrad o.ä.)
2end Engineer (2 Streifen)
3ed Eng. (1 Streifen)
Chief Mate (1. Offizier) ( 3 Streifen)(Vertr. des Kapitäns/Ladungsoffizier)
2end Mate (2.Offz.) (2 Streifen)(Navigationsoffizier)
3rd Mate (3.Offz.) (1 Streifen)(Schiffssicherheitsoffizier)

Das hilft am Anfang, die Mannschaft besser kennen zu lernen und beugt Verwechslungen vor, falls mehrere ältere, ergraute Herren an Bord rumlaufen. Nicht immer ist der Gebräunteste oder ins Kapitänsklischee passende Traumschifftyp auch wirklich der Kapitän. Ich verweise auf die beiden Verwechslungen in meinem Falle, wobei das mit der Bräune tatsächlich stimmte. Für den Traumschifftyp fehlen das ständige freundliche Gesicht, die weisen Zähne und die immer an allen Frauen interessierten Augen. Bei mir reagieren die Augen sehr stark Typ abhängig, dann aber durchaus interessiert.
Zurück zur Australia-Ausreiseprozedur: Sie prüfen meinen Pass, vergleichen die Daten mit der Eingangsstelle Brisbane. Alles klar. Die inzwischen über das ganze Gesicht strahlende Dame frägt noch nach meinen Gründen, auf diese Weise zu reisen und lässt sich die ganze Geschichte erklären und die 5 Kollegen hören tatsächlich interessiert die ganze Zeit mit. Ich denke immer an mein Englisch und hoffe, dass zumindest 50% verstanden wurden. Dann wüssten sie auf jeden Fall, dass ich aus Deutschland komme, noch lebe und mit vollem Bewusstsein auf dem Schiff gelandet bin. Handschlag, ein „Good Luck“, nochmals das strahlende Lächeln und Australien hat mich ausgecheckt.
Immerhin mit einem Lächeln und nicht so, wie bei der Begrüßung in Brisbane mit sturen Blicken. Hätte ich eine Begleiterin dabei gehabt, wäre sie stolz gewesen auf ihren Typen. Oder eifersüchtig.
Ich werde zur Kabine gebracht, nicht die Owner-Großkabine mit 40m2 sondern eine normale mit 20m2, zwei Einzelbetten, Schreibtisch, Sanitärzelle, Sofa und Tisch. Zwei Fenster, allerdings auf dem E-Deck, was bei voll beladenem Schiff die Aussicht auf das Meer reduzieren könnte. War aber dann doch nicht der Fall.
Die Owner Kabine ist von einem englischen Paar bewohnt, das in Adelaide aussteigt. Vielleicht gibt es da noch Möglichkeiten zum Wechseln. Beim Abendessen sitzen wir uns dann gegenüber. Er ist Spezialist für Transportwesen und Lehrbeauftragter an der Uni, speziell im Bereich Containerlogistik und Konstruktion mitsamt den dazugehören Anlagen.
Er kennt sich bestens aus mit den verschiedenen Reedereien und ich bin froh, dass ich über die Verkehrsrundschau auch alle führenden Firmen und deren Konzepte kenne. So kann ich ganz gut mitreden, auch über Fusionen und einige Spezialitäten im Containergeschäft.
Leider hat er nicht das klare Englisch drauf, sondern schnuddelt ziemlich schnell, sodass ich mir immer wieder Brücken bauen muss für die Gesamtaussage. Immerhin sind wir uns einig, dass der Bau immer größerer Containerschiffe ein Irrweg sein dürfte und stark von den riesigen Konzernen betrieben wird, bei denen jeder das größte Schiff haben möchte. Vermutlich entscheiden hier Männer und die spielen nun mal gerne im Sandkasten und wollen immer zeigen, wer der Größte ist. Nicht immer sind es Gedanken an die Gewinnmargen, manchmal – wie man an diesem Beispiel sehen kann – sind es ganz einfach Machogedanken.
Die Ruhe ist wieder eingekehrt. So wie in Hongkong nach der 10000km langen Fahrt ab Deutschland , so jetzt nach den 6000km Fahrten durch Australien. Nichts mehr organisieren müssen, 16 Tage und Nächte an einem Platz und alles drum herum läuft und gleichzeitig werden die ersten 10000 km der Heimreise von 25000 kräftig angeknabbert. Ich werde die die Zeit nutzen mit dem Reisebericht vorankommen und die Fotos zu sortieren. – Mir schwant Übles.

85 Fr 12.1.18 – Melbourne – Wartetag auf der Chopin
86 Sa 13.1.18 Melbourne – 3,30 – die Fahrt beginnt
Um 3,30 Uhr wache ich auf, das Schiff vibriert. Ein Zittern des Schiffsköpers, das ich kenne. Im Lichte der Tageslichtstrahler sehe ich mindestens 20 Männer in Schutzkleidung, welche die letzten Container mit Zugstangen befestigen. Es herrscht Hektik, ein Zeichen für Abfahrt. Trotz der schmerzhaften Uhrzeit rein in die Jeans, Hemd, Flanelljacke, Schuhe und auf die Brücke. Aufstehen zur jeder Tages- und Nachtzeit gehörte jahrelang zum Beruf und jahrelang zur Vater/Mutterrolle. Das Ablege-Manöver beginnt gerade. Der Lotse ist vor wenigen Minuten eingetroffen, die letzten Arbeiter verlassen die Containerplattformen. Nach einer Stunde Stille auf der Brücke und konzentriertem Steuern des 300m langen Schiffes über die Befehle des Lotsen erreichen wir die offene See. Der Lotse geht von Bord, der Kapitän kommt mit Kaffee und Zigarette auf die Außenbrücke, von wo ich das Ganze beobachtet habe. – Man stört drinnen durch die pure Anwesenheit, weil die Anspannung trotz der Routine in der Luft zum Greifen nahe ist.
Er beginnt mit dem Hinweis, dass er davon gehört hat, dass ich früher Trucker war. Er ist Bulgare und sein Großvater war Trucker im Nah-Ost-Verkehr nach Iran, Irak und Syrien. Und das Tollste, der war auch oft auf den schwedischen LKW-Fähren zwischen Griechenland und Syrien in der gleichen Zeit, wie ich. Sein Großvater hatte ihm von einer Überfahrt erzählt, bei der sich im Sturm LKW-´s losgerissen hatten. Beim Entladen dieser Fähre in Griechenland habe ich das Ausladen bzw. das Herauszerren der beschädigten LKWs verfolgen können, weil ich als dritter LKW in der Warteschlange stand, die auf die Einfahrt des Schiffes seit Stunden wartete. Sein Großvater muss also an mir vorbeigefahren sein, da sein LKW nicht beschädigt wurde. Zufälle gibt es ja bekanntlich nicht.
Es tut gut, wieder auf dem Meer zu sein und auch, täglich an den 25000 km zu knabbern, die noch fehlen, bis zur Endstation Hanfwerke-Oberachern. Möglicherweise gehe ich nochmals an Land in Adelaide und in Perth, wo das nur zu 50% beladene Schiff Zwischenstopps einlegt, Ein mögliches Zeichen, dass Australien mehr Produkte importiert von anderen Ländern als exportiert.

Zum Essen gibt es gefüllte Paprika und Fleischbrühsuppe und Ofenkartoffeln. – Balkantypisch würde ich diese Gerichte nennen, bäuerlich, gut, eigentlich wie zuhause. Schmeckt wie vor 35 Jahren auf den Touren Richtung Türkei, wenn die 380 Pferde frisches Futter verlangten und man sich bei einer R+T-Tankstelle (Ross- und Reiterbedarf) während dem Tanken noch ein schnelles Essen reingeschoben hat. Der Diesel war günstig in Bulgarien, dafür dauerte das Tanken bei den veralteten Tankstellen schon mal 30 Minuten. Eigenfütterung ohne Zeitverlust – das Schiff in Griechenland wartete nicht.
Die Wanderung auf dem Schiff musste wegen stärkerem Seegang ausfallen. Auf diesem Schiff sind die Regeln straffer, d.h. man muss sich auf der Brücke aus Sicherheitsgründen abmelden, wenn man spazieren geht. Dann ist für die Crew bei den verschiedenen Überwachungskameras gleich klar, wer durch die Gegend irrt. Und wenn derjenige abends nicht am Tisch sitzt, weiß man auf jeden Fall, wo in etwa der Gang über Bord stattgefunden hat und kann die Fischerei informieren. So kommt man unter Umständen gratis auf eine Fischfangtour, die sonst für einen Haufen Geld an den Tourismusagenturen gebucht werden muss.
Stattdessen habe ich mir einen Campingstuhl geschnappt und die Sonne auf dem Außenbalkon meines Decks genossen. Dazu die vorbeiziehende Küste, die ich mit Felix vom 28.2. bis zum 1.1.18 abgefahren hatte. Manche Stellen konnte ich sofort an deren spezieller Kontur und Landschafts-beschaffenheit erkennen.
Das Rollen des Schiffes macht mir Gott sei Danks nichts aus. Die Engländer hatten damit in den ersten Tagen von Singapur Richtung Australien wohl größere Probleme, wenn man ihre Gesichter anschaute, wenn sie darüber redeten. Die Frau schien mir heute Morgen auch etwas blass und hinsichtlich der Essenaufnahme eher zurückhaltend. Mit ihrem Mann klappt das jetzt mit den Unterhaltungen wunderbar. Heute Mittag hat er mir erzählt, dass es in Deutschland eine neue Regierung gibt. Und das muss ich von einem Engländer erfahren. Für ihn war die Dauer der Regierungsbildung auch nicht verständlich in einem Land, dem es bestens geht. Die Streitpunkte der Parteien seien nichts Grundsätzliche, sondern nur Geplänkel um die Verteilung einiger Beruhigungspillen für den Normalbürger. Grundsätzliches würde uns in Deutschland ja keine Schicksalsfrage trennen, wie in England die Frage des Brexit.
Technisch habe ich Privatunterricht gekommen. Einmal bezüglich der Rentabilität von Containerschiffen, zum anderen zu Ladekapazitäten. Der bisher von mir nicht beachtete „Keller“ im Schiff nimmt kann immer die gleiche Anzahl Container über Deck aufeinander stellen, wie unter Deck. Im Falle der Chopin, 5 Stück übereinander im Keller, 5 Stück obendrauf. In der Breite nimmt die Chopin 16 Container auf, die großen Kähne 20 Stück nebeneinander und 6 im Keller und 6 obendrauf. – Sieht man den Schiffen nicht an, muss man aber wissen. 35 Mio. Container gibt es weltweit im Umlauf. Jeder Container hat eine ID-Nr., die ihn überall auffindbar macht.
Beim Abendessen waren wir kommunikativ dann schon etwas weiter und so erfuhr ich, dass beide ihre Lehrtätigkeiten zum Ende 2017 beendet hatten und nach 20 Jahren Fern-Ehe mit dem verdienten Geld jetzt mehr zur Ruhe kommen und reisen möchten. Sally (Ehefrau) wollte eher die nächsten Jahre zuhause verbringen, weil sie für ein chemisches Industrieunternehmen seit 20 Jahren weltweit Schulungen durchgeführt hatte. Das Thema Berufsabschied wurde tiefer erörtert zur Frage, ob Ruhen und Reisen auf Dauer nach einem so langen geistig produktivem Leben zufriedenstellt? Verrückt, wen man unterwegs trifft, mit gleichen Fragestellungen. Allerdings werden die beiden m.E. die erste Zeit brauchen, um sich aus einer 20-jährigen Fernbeziehung in eine Daueranwesenheits-beziehung zu finden. Nur Holly-day sen (Wortverbindung von Hollyday und Reisen) und sich´s gut gehen lassen, heißt nicht automatisch Honey-Moon sondern ganz schnell auch Going-soon.
Ehemalige Fernfahrerkollegen können ein Lied davon singen beim Einstieg in die Rente. Aber auch Schulkameraden, die das ganze Jahr über im Job und abends sowie samstags schwarzgearbeitet hatten, waren nicht nur glückselig nach dem Eintritt in den „Ruhe-in-Frieden-Erwartungsstand“.
Der eine hat angefangen seinen Garten zu trimmen wie englischen Rasen und am Ende war es dann Rasen, weil das Gemüse optisch nicht mehr gepasst hat. Der andere hat die Winternöte der Singvögel erkannt und verbaut in 6 Monaten einen LKW Holz zu Vogelhäuschen. So schön, dass er sie abschließen muss, weil ihm die singenden Lieblinge reinkacken. Beim zweiten Holz-LKW werden dann in 3 Monaten einfachere Häuschen aus Billigholz gebaut mit Reinigungsautomatik. Sieht zwar nicht mehr schön aus, aber die Kacke kann mittels Schiebemechanik entfernt werden. Jetzt steht die elektronische Nachrüstung ins Haus, also Arbeit für weitere 6 Monate Renten-Freizeit. Danach müssen die ersten Häuschen hoffentlich wieder neu gestrichen werden.

87 So 14.1.18 – Chopin – Adelaide
Eine sprichwörtlich „rollende“ Nacht ist vorüber. Der Kahn hat tatsächlich so geschaukelt, dass man im Bett hin und her gewiegt wurde. Besser gerollt. Kaum eingeschlafen, machten sich einige Gegenstände durch lautstarkes Fallen auf sich aufmerksam. Also nochmal raus und alles eingesammelt und unter die Bettdecke des zweiten Bettes gepackt. Mögliche weitere Absturzkandidaten/innen gleich dazu. Wieder Eingewöhnungszeit und dann mit einigen Unterbrechungen bis um 6,30 geschlafen. Die Sonne schien, Land in Sicht, wir waren bereits in der Nähe von Adelaide.
Beim Frühstück sah Sally gar nicht gut aus. Ihr war die Roll-over-Nacht nicht gut bekommen und sie freute sich darauf, endlich von Bord gehen zu können, um wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Da sie zwischendurch von guten Weinen gesprochen hatten, hatte ich Ihnen noch den Besuch des Barosso-Valley empfohlen, speziell das Chateau Tanunda. Der Plan war aber bereits fix für die nächsten 7 Tage. 2 Tage Pinguine schauen auf Kanguru-Island, 1 Tag Adelaide und 4 Tage Sydney. Alle Hotels gebucht. Ich hatte meine Hilfsbereitschaft gezeigt.
Vielleicht war mein Englisch nach der durchrollten Nacht in Verbindung mit der blassen Sally auch falsch verstanden worden. Ihr war mit Sicherheit nicht nach Wein zumute, eher nach dem gleichen Wort aber mit der Endung „en“.
Der Nachmittag stand im Zeichen eines Ausfluges. Der Hafenagent holte die Engländer um 15 Uhr ab und nahm mich gleich mit. Das Paar stieg in einem noblen Hotel ab – wie erwartet in viktorianischem Stil gebaut – und mich fuhr der Agent laut seinen Angaben zur schönsten Stelle des Strandes. Er wollte es richtig machen, aber er kannte meine Vorlieben nicht. Was sich mir nach dem Aussteigen bot, würde ich als Rummelplatz in einem Seebad für Normalbürger bezeichnen. An der Hauptstraße Fressbuden ohne Ende, dazwischen Boutiquen, Eisdielen, Shops über Shops. Erinnerte stark an Cairns oder Noosa. Wer dort war, braucht nicht hierhin, es sei denn er sucht lange Naturstrände, die gibt es nämlich auch. Gleich daneben. In Zelten spielte russische Balalaikamusik mit einem Einpeitscher, der wohl vom Oktoberfest ausgeliehen wurde. Der Bär steppte, der Mann schrie immer lauter und die ersten Tische wurden bestiegen. Dazu draußen die Rummelmusik von zwei Karussells mit Abenteuerfeeling. Echt gut gemeint vom Agenten.
Da ich nun mal da war, habe ich mir noch Trauben gekauft und eine Flasche Rotwein aus dem Barossa-Valley, dessen Etikett ich fotografiert hatte. – Punkt für das Handy. Der Kapitän hat keinen Wein mehr, also wird heute Abend ein Glas oder zwei aus der „Agenten“-Flasche getrunken. Ich wäre niemals an diesen Ort gefahren und hätte folgerichtig niemals den Wein gefunden bei meiner Alone-some-rider-Tour.
Den Rückweg habe ich am Strand angetreten und bin zunächst ca.3 km barfuß am Ozeanstrand entlang gelaufen. Das Wasser tat gut, das Laufen tat gut, die Luft tat gut und vor allem die Ruhe an diesem Naturstrand. So verschieden können Empfindungen sein. Dem einen kann es nicht laut genug sein, wenn er seine Fritten verschlingt, dem anderen kann es nicht ruhig genug sein, wenn er seine Landschaft mit den Augen verschlingt oder das letzte Hanuta knabbert. – Beides möglich, alles gut.
Der Sonnenuntergang auf dem Schiff war phänomenal für mich. Weniger für die späteren Bildbetrachter. – Noch ein Naturphänomen zum zigten Male abgelichtet. Thomas Mann hatte mit seiner rein physikalischen Betrachtung Recht. Ein glühender Planet rutscht ins Wasser und verglüht logischerweise. – Und trotzdem, immer wieder das Brimbamborium, wenn sie wieder einmal ins Wasser oder hinter einen Felsen oder hinter den Horizont fällt.
Am Uluru, dem heiligen Berg der Aborigines, stehen jeden Morgen und jeden Abend Tausende, übers Jahr angeblich 2 Millionen an den besten Fotostellen. Wenn es dann soweit ist, strecken diese Tausende ihre Foto-Degen wie ein, gegen die Sonne marschierendes Heer, in die Luft. Diese Degen im Licht der unter- oder aufgehenden Sonne, dürfte das Foto vom Uluru bei weitem übertreffen. – Das wäre ein Grund gewesen, hinzufahren. Leider fällt er mir jetzt erst ein, obwohl so logisch.

88 Mo 15.1.18 Adelaide Departure – Schiff
Um die Gewichtszunahme zu beschränken, habe ich beschlossen nicht mehr regelmäßig zu frühstücken. Zwei Essen am Tag sind sowieso schon viel zu viel und dann auch noch Balkan. Fleisch, Gemüse, Kartoffeln und dazu immer diese guten Suppen. Draußen immer noch Hochbetrieb beim Laden und Abladen. Um 10 Uhr soll das Schiff ablegen. Da ich mich an den Bericht gesetzt habe, bemerke ich nicht wie wir ablegen. Erst ein Vibrieren des Bodens erinnert an den Schiffsmotor. Ein Blick zum Fenster geht aufs Wasser, beim Blick aus der offenen Kajüten Luke stelle ich fest, wir sind bereits ein gutes Stück weg vom Hafen. Auch gut, Hauptsache es geht weiter. Nächste Station ist Perth, das wir am18.1.18 gegen 22 Uhr erreichen sollen. Am 19. Oder 20.1. soll es dann weitergehen. Richtung Singapur.
In Perth ist auch Kapitänswechsel. Nach dem heutigen Gespräch weiß ich, dass sein Vertrag abläuft und er sich einen neuen Kontrakt sucht. Zuerst sind aber 4 Wochen Urlaub angesagt. Von ihm erfahre ich auch, dass die CHOPIN 5500 Stück 20-Fuss-Container laden kann und 75000 Pferde unter Vertrag hält. Beim Schiff AGLAIA waren es 4200 und 50000 Pferde. –Die CENTAURUS gehört mit einer Länge von 360m zu den größeren und lädt 11400 Container. Die ganz Großen sind inzwischen 450m lang und laden 18000 Container. Inzwischen streiten sich die Hafenbetreiber und die Reeder wegen den unterschiedlichen Belastungen. Der Reeder lässt sich ein immer größeres Schiff bauen und die Hafenanlagen müssen für wenige Schiffe extrem teuer verändert werden.
Wer mehr wissen möchte, für den ist die Statistik des Hamburger Hafens sehr interessant: www.hafen-hamburg.de/de/schiffe
Eine neue Planung für die Zeit nach 10-15 Jahren sieht Großschiffe vor, die nur noch wenige geeignete Häfen anfahren in denen dann auf die kleineren Containerschiffe umgeladen wird. Singapur baut bis zum Jahre 2020/22 einen solchen Hafen, obwohl 2010 gerade ein neuer Hafen in Betrieb genommen wurde, der inzwischen zu klein geworden ist. Noch sind es Pläne, aber die bisherige Beschleunigung in diesem Markt dürfte womöglich noch schneller Realität werden.
Seit 1970 hatte die Umstellung der Transportwirtschaft auf Container das Transportwesen revolutioniert und den globalen Welthandel maßgeblich mitbeschleunigt. Die nächste Stufe wird die weitgehende Digitalisierung der Containerlogistik mit sich bringen, die heute schon in der Transportplanung weitgehend IT-gesteuert ist. – Der nächste Schritt wird die Hafenlogistik betreffen, wenn Transportfahrzeug und Kran die Container aus im Hafenlager ohne Fahrpersonal finden und das Schiff entsprechend der Abladestellen ausladen. Das System wird lediglich überwacht, alles andere läuft sensorgesteuert automatisch, ähnlich wie das automatische Hochregallager, nur zig Nummern größer. Die ersten Systeme dieser Art befinden sich bereits im Einsatz. Die zweite Revolution nach der Einführung des Containers vor ca. 50 Jahren hat bereits den Fuß in der Tür. Kran- und Staplerfahrer werden umlernen müssen.
Die Wanderung muss ausfallen, weil laut Kapitän überall Streicharbeiten stattfinden und während Reparaturarbeiten Passagiere nicht auf dem Schiff spazieren gehen können. Soweit ok. Außerdem wäre das freie Bewegen überhaupt nicht möglich. Das wäre eine Vorschrift der Reederei und er müsse sich aus Sicherheitsgründen daran halten. Komisch für mich. Beim 2. Offizier war es kein Problem, nur an- und abmelden sei erforderlich. Nun ja, das Bild passt irgendwie zu seiner Aussage, dass er die Fotos der Zenobia nicht sehen möchte, weil es Bilder von einem untergehenden Schiff wären. – Ob die Hose mit Vorschriften halb gefüllt ist oder ob sich der Kopf bereits auf der Heimreise befindet? Zwei Fragen, die unbeantwortet bleiben werden.
Das Risiko eines Bordspaziergangs ist nicht größer, wie das Treppensteigen im Schiff. Über Bord fallen kann man nicht, es sei dann man will es. –Möglicherweise ist es auch ein sprachliches Missverständnis und es geht tatsächlich nur um momentan größere Reparaturen an den Fußwegen. In diesem Falle müsste er selbst einschätzen, wie der Passagier mit solchen Reparaturarbeiten umgeht. Es geht ja nicht um Kinder, die dann den Pinsel schwingen.
Das gute Wetter war dann Balkonwetter. Auch gut, aber nicht so gesund. In Perth geht der junge Kapitän, Jahrgang (1980) von Bord. Mal sehen wer kommt. Der junge Kapitän hat offensichtlich noch Probleme mit seinem Selbstbewusstsein. Mir ist erst jetzt wieder die verwirrende Situation beim Einchecken auf dem Schiff eingefallen, als ich kurz als Kapitän in Frage kam. Das nagt natürlich an den jungen Burschen. – Von daher musste das Verhältnis auf normalem Niveau, wie unter Geschäftsleuten, bleiben und mit irgendeinem Verbot konnte man auch noch zeigen, wer hier der Kapitän an Bord ist. Auf der Aglaia wurde ich gerade im Moment des Erscheinens des Kapitäns beim Auschecken auch gefragt, ob ich der Kapitän sei. Der musste herzhaft darüber lachen. Es scheint wohl auch eine Frage des Alters zu sein, für wen man gehalten wird. Und noch mehr, wie man damit umgeht und wie schnell man sich in seinem Kapitänsstolz verletzt fühlt.

89 Di 16.1.18 Adelaide – Perth – auf dem Schiff
Eine durchgerollte Schiffsnach bedeutet immer wieder Unterbrechungen beim Schlaf. Nicht weil man sich irgendwelche Sorgen macht, das Wiegen ist eher einschläfernd. – Aber bei stärkerer Seitenlage fängt der Körper an, sich tatsächlich zu drehen bzw. er kommt in eine Vorstufe des Rutschens, d.h. man versucht wohl im Schlaf dagegen zu steuern. Es soll heute den ganzen Tag weiterrollen, womit sich auch die Wanderung erledigt hat.
Ein kühler Wind und viele Wolken machten auch den Balkon nicht wirklich interessant. Also habe ich angefangen, die hunderte Fotos durchzusehen und auszumisten. Eine Fleißarbeit, aber auch höchst interessant, weil zu den Bildern tatsächlich die Tagesgeschichten im Kopf auftauchen oder Menschen, mit denen man zu tun hatte. Jedenfalls werde ich ein paar Tage damit beschäftigt sein. Das Internet ist komplett weg – Zeit ohne den digitalen Tages-Terror.

90 Mi 17.1.18 Adelaide – Perth – auf der CHOPIN
Nachdem heute Nacht die Uhr wieder eine Stunde nach vorne gestellt wurde und in der kommenden Nacht nochmal, wird es Zeit, sich mal die Tag-Nacht-Geschichte genauer anzusehen, was mit Hilfe des Internets sich recht einfach darstellt. In Perth werde ich 2,5 Stunden von Melbourne aus zurückgestellt sein. Die Reise geht Richtung Westen zurück zur europäischen Zeit. Ich bekomme die Stunden zurück, die ich auf der Hinreise verloren hatte.
Der Tag war morgens mit Fotos sortieren gefüllt, nachmittags mit Sonnendeck und Mittagsschlaf. Die letzte Nacht war eine richtige starke Roll-Nacht, sodass ich durch das Hin- und Her Geschiebe im Bett aufwachte. Rollende Schubladen deuten auf starke Schieflagen des Schiffes hin und produzieren beim Reinfahren jedes Mal einem „Klack“. Und das merkt sich das Gehirn schnell und wartet auf das Anschlagen um dann schnell einzuschlafen, was aber natürlich in der kurzen Zeit nicht funktioniert. Also doch aufstehen und Schublade unterlegen. Jetzt aber Ruhe.
Nach dem Essen nochmals Fotos sortiert und es sind noch viiiiieeeeele. Hätte ich nur mehr Abstinenz beim Fotografieren geübt. Hätte, hätte… Für alle Enthusiasten von Sunrise- und Sunseterlebnissen folgender Link:
www.sunrise-and-sunset.com Nie mehr einen Sonnenauf- oder Untergang verpassen, nirgendwo auf der Welt. Die ewige Warterei und das Rumstehen mit der Frage: wann ist es denn so weit? hat ein Ende.

91 Do 18.1.18 Adelaide – Perth – auf der CHOPIN
Wieder eine Stunde jünger, die Zeit an der Schiffsruhr zeigt 5,30 Uhr beim Aufwachen. Irgendwie hat man sich in den Wochen an die andere Zeit gewöhnt. Eigentlich wäre es jetzt 7,30 Uhr. Eigentlich. In einer Unterhaltung mit dem 2. Officer, einer von 12 Philippinos an Bord, ist jetzt auch geklärt, wie die Regeln auf der Chopin bezüglich der Passagiere ausgelegt werden.
1. Der Kapitän kann Alkohol in der Kabine der Passagieren erlauben oder verbieten.
Die Gründe für ein Verbot sind ihm nicht bekannt. Der jetzige Kapitän hat Alkoholverbot in den Kabinen erteilt. Beim Essen kann Wein getrunken werden, der vom Stewart auf den Tisch gestellt wird. Danach soll er angeblich in der Küche in den Kühlschrank kommen bis zum nächsten Abend. Diese Regelung erscheint gegenüber der Aglaia ein Konstrukt zu sein, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob da richtig übersetzt wurde. Schlecht vorstellbar, dass die Reederei dem zahlenden Passagier das Bier oder den Wein in der Kabine verbieten kann, solange daraus für das Schiff keine Gefahren entstehen. Mit dem Argument, dass bei einem Notfall alle fit sein müssen, wären die Kreuzfahrschiffe am Ende. In der Praxis bedeutet dies nämlich, dass auf jedem Schiff eine andere Regelung gelten könnte. Mal sehen, welche Regelung der nächste Kapitän in Perth an Bord anordnet. Vermutlich wird er das Rauchverbot auf der Brücke wieder in Kraft setzen, dass der jetzige Kapitän wegen seiner Zigarettensucht außer Kraft gesetzt hatte.
2. Wanderungen auf dem Schiff sind grundsätzlich möglich. Auch bei Reparaturen an Bord, wenn diese nicht direkt in den Fußwegen stattfinden und mit Schweißarbeiten zu tun haben. Der Passagier muss darauf achten, dass er die Arbeiten nicht behindert. Der 2. Officer fährt zur See des Geldes wegen und weil er einen Studienplatz als Ingenieur nicht bekommen hatte, worauf sein Vater ihn aufforderte, etwas zu tun und nicht nur rumzuhängen und zu jammern. 14 Tage nach Einchecken an Bord kam die Zulassung, aber der Vertrag war unterschrieben. Jetzt gefällt es ihm auf der Südroute, 8 Stunden 2. Offizier auf der Brücke und 16 Stunden frei. Lesen, Denken, Faulenzen – ein schönes Leben an Bord. –Ob er noch studiert. Er ist sich nicht sicher, schließt es aber nicht aus.
Mit dem Kapitän hatte ich auch noch ein Gespräch allgemeiner Art. Er ist 37 Jahre, fährt seit 11 Jahren zur See, hat das Kapitänspatent seit 5 Jahren und fährt seit 2 Jahren als Kapitän. Er kenne auch Kapitäne unter 30 Jahren, hält aber nichts von den Youngsters. Ohne mehrjährige Seeerfahrung fehle die Grundlage für eine gewisse Autorität des Wissens und die Sicherheit, mit brenzligen Situationen in Ruhe umzugehen. Der Lohn auf See betrage ein Vielfaches wie in Bulgarien in der Industrie. Ein verständlicher Grund zur See zu fahren, trotz Frau und Kinder zuhause. Bevorzugte Routen hätte er nicht. Das wichtigste wäre immer die Crew. Ist die gut und bildet ein Team, ist jede Route gut. Ist die Crew schlecht, ist es egal welche Route. Er geht sogar so weit zu sagen, dass ein Containerschiff zuallererst aus Crew besteht und erst in zweiter Linie aus Schiff und Containern.
Die Kontrakte der Kapitäne sind unterschiedlich lang und verhandelbar. Altersbeschränkungen hängen von den jeweiligen Ländern ab.
Ich frage noch nach einem möglichen Kabinenwechsel und bekomme die erwartete Antwort. Er wäre zwar noch Kapitän, aber das soll der nächste Kapitän entscheiden. – Meine Einschätzung bezüglich der Hosenfüllung war nicht ganz verkehrt. Ein anderer hätte kurz überlegt und entschieden bzw. die Reederei kontaktiert, ob die Kabine ab Perth frei ist. – Das sind die Unterschiede, die man auf Reisen an allen Ecken und Enden erfahren kann. Du triffst engagierte, zuvorkommende Menschen, die sich alle Mühe geben und andere, die ihren Job machen. Ihren Job und sonst gar nichts. – Eigentlich trifft man in der Fremde die Heimat, was diese Sache angeht.
Der Walk zum Bug war natürlich wieder herrlich. Da vorne herrscht Ruhe, kaum Windgeräusche, Zeit um einen Becher Kaffee in aller Ruhe zu genießen, den Wolken zuzuschauen. Beim Rückmelden auf der Brücke gibt es als Sahnehäuptchen noch springende Delphine . Meinen Fotoapparat habe ich nicht dabei, also im Kopf Klick, Klick, Klick. – Beim späteren Gang zur Brücke waren die Delphine natürlich längst unterwegs zu anderen Ufern. – Vielleicht auf der Strecke nach Singapur.

92 Fr. 19.1.18 Adelaide – Perth – Fremantle – CHOPIN
Um 5,45 aufgewacht und am Horizont den beginnenden Sonnenaufgang bemerkt. Aber natürlich nicht vor der Luke, nein auf der Steuerbordseite (rechts) . Schon so oft gesehen und doch immer wieder ein Naturschauspiel auf dem Meer mit den unendlichen Flächen. Ein Foto habe ich mir geschworen, es werden zwei, weil ich noch ein Panoramabild machen musste aus innerem Antrieb. Es ist verdammt kühl, gefühlt 10° und ein beißender Wind aus der Antarktis jagt mich wieder zurück. Während ich mir meinen Kaffee brühe, dreht das Schiff nach Osten und die gleisende Sonne macht die Fenster auch nicht sauberer. Wischen angesagt.
An dieser Stelle noch ein Tipp für Kaffee- und Teetrinker: kleinen Kocher mitnehmen, stabilen Plastik-oder Porzellanfilter, Teebrühnetz , Filtertüten und Kaffee/Tee mit an Bord nehmen. Dann kann man sich jederzeit einen selbst Gebrühten ansetzen. 220V-Normalsteckdosen sind vorhanden. Auf der Brücke kann man sich zwar auch bedienen, aber dann sollte man den Kaffee auch dort trinken und nicht gleich wieder verschwinden.
In den Hotels im asiatischen und australischen Raum findet man überall die Kocher, fast immer mit Teebeuteln, Zucker und Instantkaffee (igitt, igitt). Auf dem Schiff nicht.
Der Lotse sollte um 10 Uhr an Bord kommen, wird er aber nicht. Wir liegen vor Anker und warten. Zeit für ein Gespräch mit dem 2. Offizier namens Godaliyanage Don Subhash Madhava Perrera. Den versuche ich lieber nicht auszusprechen. Ich erfahre, dass für das Laden und Entladen der Container ausschließlich der Hafen zuständig ist. Die Kontrolle liegt dann beim Kapitän bzw. der Crew. – Auf die Frage, ob die Crew Mitglieder in den Häfen immer von Bord gingen lächelte er verschmitzt und meinte, sie müssten von Bord gehen, „Girls, if you understand?“. Ich verstehe und mir fallen spontan die Bars mit den zwei Türen in Tarragona ein. „Yes, I know this from my life as trucker.“ – Ich habe nicht erzählt, dass ich das nur von den Erzählungen und Beobachtungen kenne. Er hätte sicher nur gelacht. Ich auch, wenn mir jemand so was erzählen würde.
Um 11,30 kommt der Lotse an Bord und um 12,30 liegen wir im Hafen an Kai. Um 13 Uhr fahren die Kräne und beginnen mit der Ent- und Beladung. Alle Containerplätze sind vorbestimmt, d.h. jeder Container kommt nach dem Abladen an einen vorher bestimmten Platz und jeder geladene Container hat an Bord seinen fixen Platz. – Ziel der Logistik ist eine Kranführer freie Be- und Entladung, um Kosten zu reduzieren und Computergenauigkeit bei den Bewegungsprozessen einzuführen. Sieht nach einem langen Weg aus, aber diese Automatic gibt es bereits in Rotterdam im Hafen.
Den Nachmittag nutze ich für einen Ausflug nach Fremantle, der kleinen Hafenstadt vor Perth. Nach der üblichen Ausgangskontrolle bestelle ich ein Uber-Taxi und nach 10 Minuten bin ich bereits im Zentrum. Ein Städtchen, wie ich schon einige gesehen habe mit viktorianischen Häusern und dem typischen Schachbrettmuster. In Fremantle hat man sich den Luxus von schräg laufenden Straßen gegönnt. Vermutlich haben hier Studenten ein neues Diagonalsystem ausprobiert . – Logisch erscheint einem die Straßenführung nicht.
Der Central Market als Touristenpoint hält was er verspricht. Einen Haufen Krimskrams und Nippes wie bereits in Adelaide, Sydney, Melbourne oder Brisbane. Viel Obst und Gemüse, aber ohne Marktatmosphäre. Die Trauben sind teurer wie im Supermarkt und dazu noch bereits in die Tage gekommen. In einem Shop kaufe ich mir einen Shiraz für den Abend und lasse mich dann mit Uber zurückfahren. – Gerade rechtzeitig zum Abendessen. Die Haut im Gesicht zieht etwas. Zu viel Sonne für´s Gesicht heute.

93 Sa 20.1.18 Fremantle – CHOPIN – Auslaufen um 22,32 – Tschau Australien
Um 6 Uhr auf dem Balkon gestanden. Einen Sonnenaufgang über Fremantle fehlte noch in der Sammlung des Sunset-Sambler. Vielleicht was ganz Neues. War es aber nicht. Nach 3 Fotos lag ich wieder im Bett bis nach 8 Uhr. Das Frühstück fiel wegen Übermästung aus.
Dafür ging ich auf die Brücke um mich beim neuen Kapitän vorzustellen und hatte mit meiner Vermutung Recht. Der war damit beschäftigt sich ein Bild auf der Brücke zu verschaffen und da sind ihm sicher die Aschenbecher aufgefallen und der kalte Rauchgeschmack in den Kopf gestiegen.
Ebenfalls junger Typ, weshalb ich nach einem herzhaften Händedruck zum Start einen Kalauer verwendete: „You are the new capitain, I´m the old passenger“. Die Formulierung hatte bereits gereicht, dass ein Funke Sympathie übersprang. Er erzählte auch sofort, dass dies sein zweiter Kapitänsauftrag wäre und die Fahrt nach Singapur lt. Wettervorschau etwas stürmisch werden könnte. Es scheint so zu sein, dass die boomende Containerschifffahrt auf jüngere Kapitäne zurückgreifen muss. Auch Bulgare und auch sein Vater war Fernfahrer. Wir unterhielten uns 15 Minuten über alles Mögliche. Ein offener Typ nach dem ersten Eindruck.
Draußen schönstes Wetter, also nachmittags an den Strand, davor aber noch harte Arbeit: Fotos sortieren. Eigentlich sollte ich zuhause alle Aufnahmen zeigen und dann von der Verwandtschaft in mehreren Wochenend-Bildvorträgen abstimmen lassen, welche Fotos weiter leben dürfen. Im Moment entscheide nur ich mit meinem Geschmack ohne jegliche Teilhabe der Mehrheit. Vor der habe ich aber den Auftrag, was auf jeden Fall ein Mitspracherecht ergeben würde. Bei ca. 4000 Fotos wären das 8 Wochenenden. Am Ende des mehr oder weniger erfolgreichen Verwandtschafts-Selbsterfahrungsprozesses hätten wir ausschließlich demokratische Reisebilder und die Verwandtschaft würde in Zukunft vermutlich einige Jahre Ruhe voreinander haben. Zu enges Zusammensitzen der Verwandtschaft ist immer hilfreich, wenn man die Nähe reduzieren möchte. Der Expeditionskoller lässt grüßen, den es angeblich auch in Familien oder bei Paaren geben soll. Da heißt er dann Beziehungskonflikt und meistens wird Großes mit kleinen Dingen losgetreten und kommt nach wenigen Ziel- oder Bauchäußerungen zum Show down.
Ganz dumm dran ist das ganze Geschwader der pädagogisch Vorgebildeten. Sie versuchen, den aufkommenden Konflikt auf einer transparenten und verstehenden Ebene auf der Chaosklippe der Bauchindianer entlang zu jonglieren, was diese wiederum fuchsteufelswild macht. Der Bauchmensch will den Bauch leeren und das geht meistens nur über den Mund. Wie bei der bekannten anderen Entleerung des Bauches über den Mund, weiß der „Brechende“ nie genau, was da im Schwall alles daherkommt. Und der Pädagoge gibt sich auch noch als verstehend und nachsichtig. Damit stellt er sich auf eine höhere Ebene. Sollte er besser nicht tun. Warum nicht den gleichen Kotzbrocken loslassen und ordentlich was kübeln? Der Bauchmensch versteht in solchen Momenten am besten Bauchisch und nicht Kopfisch. Einfach mal testen, wenn Sie sich die kopfische Sprache angewöhnt haben. Der Bauchist kann nicht testen, weil der Bauch beim ihm vor dem Gehirn kommt. Hat in einigen Bereichen des Menschseins auch große Vorteile
Nach diesen wahrscheinlich sinnlosen Abschweifungen über ein Thema, dessen menschliche Abgründe sich nie werden ändern lassen, wieder zum Tagesverlauf zurück.
Um 13,30 Uhr melde ich mich ab und habe das Glück, dass ein Shuttlebus gerade zwei Crewmitglieder in die Stadt bringt, wahrscheinlich in die berühmte Freddy Quinn-Spelunke, wo die La Paloma drauf wartet, die Matrosen verrückt zu machen. Ich werde vom Fahrer freundlicherweise am Strand abgesetzt, der 3km entfernt liegt. La Paloma hat mich noch nie interessiert, was auch ein Fehler gewesen sein könnte.
Ein wirklich schöner Strand mit weißem Sand, türkisfarbenem Wasser und ca. 22 Grad Ozeantemperatur. Da ich vergessen hatte, die Badehose anzuziehen, lies ich´s bei einem Strandwalk im Wasser bewenden. Sehr schön, eigentlich Spanien pur mit einer wunderbaren Gaststätte nach 1km. Auf der Düne, Glasfront zum Meer. Zeit für Pause und ein Bier, das eisgekühlt serviert wird, aber bei meinen Träumereien zu einem Drittel nach einer Stunde eingeschlafen war. Ich schaue ins Handy, um meine Röte im Gesicht einzuschätzen. Einen Tick dunkler, kein Rot. Also Selfie mit Strand im Hintergrund für die Lieben daheim. Direkt geschickt mit der heutigen Technik und damit auch erledigt. Um 16 Uhr war ich wieder beim Schiff, die 34 Grad und die stechende Sonne treiben einem automatisch an einen kühleren, schattigen Ort.
Und nach dem Abendessen wieder Bilder sortiert, antidemokratisch zwar, aber die eigentlich notwendigen 8 Wochenenden mit Bilder- und Videovorführungen habe ich mir abgeschminkt. Die wären sowieso bei mir in der Wohnung und ich kenne die Verwandtschaft und deren Verbrauch an Nahrung und Getränken. Am Ende hätte ich einen Fotografen die Reise machen lassen können incl. Bildband. Es wäre günstiger geworden und ich hätte nicht monatelang mit zwei Fotoapparaten in der Hand leben müssen.
Es ist 22,30 Uhr und ich bemerke gerade, dass sich das Schiff bewegt. Ein Blick aus dem Fenster macht klar, wir sind längst aus dem Hafen draußen. Ein letzter Blick zurück zur Küste von Fremantle. Das war Australien. Mit 16 davon geträumt, mit 66 hier gewesen. Es war wunderschön und wunderbar frei. Wenn ich nochmals eine solche Reise unternehme, dann Ankunft in Adelaide oder Fremantle und an der Küste entlang nach Darwin und von dort mit einem Schiff in die Südsee. Es gäbe noch einiges zu tun. Und vielleicht mit der Transsibirischen im Winter zurück?

94 So 21.1.18 Fremantle – CHOPIN –
Es rollt beim Aufwachen, nicht stark, aber die Wiege funktioniert. Wolken am Himmel und trübe Sicht auf dem Meer. Das Äquatorwetter wirft seine Schatten voraus. Draußen ist es bereits warm und schwül. Sonntagsfrühstück heißt Spiegelei und Käse auf Vollkorntoastbrot. Jeden Sonntag. Ich mache mich wieder an die Arbeit und sortiere wieder Bilder. Bilder, Bilder, Bilder! Und zwischendurch mache ich mich etwas schlauer bezüglich der Containerschifffahrt.
Ihr Start: 26.4. 1956 – umgebauter Tanker verlässt als „Ideal X“ mit 58 Stahlkisten in New Jersey den Hafen und fährt nach Texas. www1.wdr.de/stichtag/stichtag-erstes-containerschiff-100.html
Linie CMA-CMG (CHOPIN, CENTAURUS)
Der Firmengründer Jacques SADE startete am 13.9.1978 mit 4 Partnern eine Linie zwischen Marseille nach Livorno Italien, Latakia (Syrien, mein Zielhafen mit dem LKW auf dem Weg nach Saudi Arabien) und Beirut (Libanon). Er hatte erkannt, dass die Einführung der Seecontainer das gesamte Transportwesen revolutionieren würde. Nach 40 Jahren arbeiten 29000 Mitarbeiter in 160 Ländern mit ca. 550 Schiffen (eigene und Charterschiffe). Die Firma gehört zu den größten Containerseefrächtern der Welt und steht mittlerweile an dritter Stelle hinter MAERSK und MSC. Zusammen stellen die 3 Firmen mit ca. 7.5 Mio. TEU fast 40% der Containerstellplätze auf Schiffen.
Linie Cosco (AGLAIA) Diese Linie steht an 6. Stelle der Containerfrächter und verfügt über ca. 900.000 Containerstellplätz auf insgesamt 160 eigenen und gecharterten Schiffen.
95 Mo 22.1.18 Fremantle – Singapur – CHOPIN
Heute Mittag habe ich endgültig den australischen Kontinent auch hinsichtlich des Breitengrades verlassen. Wir sind auf dem offenen Indischen Ozean auf der Reise nach Singapur. Die Temperaturen liegen bereits heute Morgen um 9 Uhr bei 28 Grad, schwül warm. Die Fahrt mit der Aglaia vom 9. Bis 21.November 2017 lässt grüßen. Das Bordwalking fällt wieder aus, weil auf dem Schiff mit Dampfstrahler und Rostfräser gearbeitet wird. So verlangen es die Vorschriften der Reederei und überall wo es Vorschriften gibt, werden diese entsprechend den dafür zuständigen Personen angewendet. Streng oder lockerer. Während mir auf der AGLAIA der Cosco-Linie zugetraut wurde, Arbeitsbereiche zu meiden und notfalls zurück zu gehen, werden die Regeln auf der CHOPIN der MCA Linie enger angewendet.
Ein typisches Merkmal großer Firmen. Die Direktiven von oben degradieren den Mann vor Ort zum Erfüllungsgehilfen. Die vom Schreibtisch im schicken Büro des Reedereihochhauses ausgearbeiteten Vorschriften werden buchstabengenau angewendet. Selber denken und in diesem Falle relativ unspektakulären Bereich individuell entscheiden – geht nicht mehr. Der neue Kapitän hatte zwar sein OK gegeben, aber der Chief Officer ist für die Arbeiten an Deck zuständig und damit war die Sache entschieden. Als neuer Kapitän würde er sich einen Bärendienst erweisen, hier in irgendeiner Weise etwas zu unternehmen. Immerhin soll ich Bescheid bekommen, wenn mal keine Reparaturarbeiten stattfinden, was auf diesem Schiff mit dem Baujahr 2004 sicher nur selten der Fall sein wird. Es rostet überall vor sich hin und die Entrostungs- und Streicharbeiten dürften immerzu im Kreise herum fällig sein, wie die Reparaturarbeiten am Kölner Dom. Also auf den Balkon in den Campingstuhl, Kaffee daneben und Sonnenstunde eingelegt. 30 Grad, schwül warm, aber mit Wind. So lässt es sich aushalten. Irgendwann bin ich sogar eingeschlafen.
Und dann ging´s wieder ans Foto sortieren, das Ende in Sicht, wenn ich mich heute richtig dranhalte. Essen, Mittagsschlaf, 1,5 Stunden, sortieren. Abendessen 18 Uhr, sortieren. Um 21, 30 waren alle Bilder durchsortiert. Viele vernichtet, verschiedene in Spezialordner geparkt. Ab jetzt kann ich wieder anfangen, das Reisetagebuch ins Reine zu schreiben.

96 23.1.18 Fremantle – Singapur – CHOPIN
97 24.1.18 Fremantle – Singapur – Chopin
Schiffstage sind ruhige Tage, vorstrukturiert durch die Essenszeiten. Mehrere Schiffstage hintereinander bringen Ruhe ins Getriebe und er Kopf wird freier. Da macht man sich auch Gedanken, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. So war die Reise auch gedacht.

98 25.1.18 Fremantle – Singapur – CHOPIN
Der Agent aus Singapur frägt nach der Abholung vom Schiff und ich regle bei der Gelegenheit noch die Buchung im Hotel Amara zum Haustarif von CMA. Statt 1943 Singapur Dollar (1215 Euro) bei einer Buchung über HRS bezahle ich 1170 Singapur-Dollar (730 Euro). Nicht ganz billig, aber zum Abschluss des Abenteuers Australien und vor dem Beginn des letzten Reiseabschnitts, gönne ich mir nach all den vielen Motels in der Pampa etwas Luxus mit einem „Room-Typ DELUXE KING“. Auch auf die Gefahr, dass mir der Graf von Eurohausen an den Kopf geworfen wird. Mit etwas badischer Bauernschläue habe ich 435 Euro über die Buchung als CMA-Mitarbeiter gespart. Von den Schwaben würde ich für die Ersparnisse die Ehrenbürgerschaft angetragen bekommen.
Bei einem wolkigen und teilweisen Nieselwetter war wieder Drinnen angesagt, aber ohne Langeweile. Die Fotos sind durch, der Bericht macht Fortschritte. Morgen soll die Sonne scheinen.

99 26.1.18 Fremantle – Singapur – CHOPIN – Ende der Fahrt – Ruhenacht im Hafen
Ein weiterer Reiseabschnitt geht zu Ende. Zeit für eine Gesamt Resümee der Chopin-Reise, die vom Grundsatz her eine ganz andere Reise war. Es war die zweite Reise auf einen CC und viele einmalige Erlebnisse wiederholten sich. Für den Reiz des Neuen gibt es kein Rezept der Wiederholung, das erste Mal bleibt das erster Mal. Kennt man ja auch von anderen Bereichen des Lebens. Und es war wohl Fügung, dass mir für dieses erste Mal das Containerschiff AGLAIA mit seinem Kapitän Dariusz und seiner Mannschaft geschickt wurde. Da passte Alles und so war das wohl auch gedacht mit dem „Zufall“.
Die jetzige Etappe gehört bereits zu meiner Rückreise, d.h. Erlebtes zu verarbeiten, Reiseberichte verbessern, Fotos sortieren, eben auch Arbeiten, die zuhause nie und nimmer in der Ruhe erledigt werden könnten. – Auch wenn immer Neues dazukommt, ist mir klar, dass die Rückreise sich mehr um die Gedanken auf die Zukunft konzentrieren wird und die Vergangenheit in gleichem Maße zurücklässt, wie das große Reiseziel Australien. Durch die Erfahrungen mit der AGLAIA kommt man automatisch in den Vergleich der beiden Schiffe und deren Besatzungen, wobei ich nach bestem Gewissen versuche, Emotion und Sache zu trennen.
Zum Schiff und zur Besatzung:
1. Das Schiff ist mit Baujahr 2004 8 Jahre älter wie die AGLAIA, was zur Folge hat, dass permanent die Oberflächen auf den Gängen und Plattformen entrostet und gestrichen werden. Durch die strenge Auslegung der Sicherheitsrichtlinien, waren deshalb Rundgänge kaum möglich. Dass es doch ab und zu klappte lag an Missverständnissen der Crew, wie sich herausstellte, nach dem Eltern-Oma-Prinzip. Der eine erlaubt´s, der andere nicht. Der Balkon auf beiden Seiten des E-Decks entschädigte, weil man sich doof vorkommt, jeden Tag zu fragen ob oder ob nicht. Im Campingstuhl das Dahingleiten genießen, einfach wunderbar. Dafür das Fitnesstraining zwei Mal am Tage erledigt. Das passt auch. Das schwül, warme Wetter mit Regengüssen ließ die Aufenthaltsdauer draußen ohnehin schmelzen. Dann nutzt man umso lieber die Kajüte für die anstehenden Sortierarbeiten.
2. Beide Kapitäne waren ca. 35 Jahre alt, also noch sehr junge Kapitäne. Wie in jedem Betrieb spielt es immer eine Rolle, wie der Chef mit dem Ganzen umgeht. Sowohl der erste, als auch der zweite Kapitän auf der CHOPIN haben noch nicht sehr viele Kapitänseinsätze hinter sich, d.h. sie müssen sich die Sicherheit im Umgang mit Regeln erst noch erarbeiten. In dieser Zeit wird auf die Einhaltung von Vorschriften strenger geachtet, weil man damit auf der sicheren Seite steht. Bis man sich aber eine eigene Sicherheitsbeurteilung von Situationen und deren möglichen Gefahren angeeignet hat, dauert ein paar Jahre.
3. Was die Kommunikation gegenüber der AGLAIA schwieriger machte, war die Sitzordnung. Bei der AGLAIA sitz der Kapitän immer neben den Passagieren am Esstisch, auf der CHOPIN nie, d.h. die Zeit für ein längeres Gespräch ist gar nicht da, weil auf der Brücke natürlicherweise andere Dinge Vorrang haben. Dieser Umstand dürfte Alles in Allem den entscheidenden Unterschied darstellen.
4. Die Brücke ist auf der CHOPIN bis auf den Kapitän mit Philippinos besetzt und irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass sich einige durch die Besetzung des Kapitäns mit einem Europäer zurückgesetzt fühlen. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: der 2. Officer war zu Beginn sehr freundlich und wir haben einige Male über ihn, sein Land und seine Karriere gesprochen. Auch über den 30-jährigen Krieg in Sri-Lanka, über den er ein dickes Buch auf der Brücke dabei hatte.
Als ich am zweiten Reisetag auf die Brücke kam, war der 2. Officer nicht zu sehen. Der neue Kapitän stand an der Fensterbrüstung, was mir gerade recht kam, weil ich an ihn speziell ein paar Fragen stellen wollte, aus denen sich ein kurzes Gespräch entwickelte. Als der 2. Officer nach ein paar Minuten aus dem Bürobereich herauskam, sah ich beim „Good morning“ das Gesicht und wusste sofort, dass er sich quasi übergangen fühlte nach dem Motto, er wäre jetzt nicht mehr gut genug für ein Gespräch. Verstärkt durch den Umstand, dass jetzt Weiser mit Weisem spricht. Eigentlich Kindereien, könnte man sagen, aber dem war es ernst. Jeder kennt das Gefühl bei sich selbst, kommt aus dem Bauch und entbehrt meist jeglicher Vernunft und Grundlage.
So wird man ungewollt in grundsätzliche Konflikte der Gleichwertigkeit von Nationen gezogen. Ob auch Missgunst der inzwischen höheren Ränge gegenüber den Passagieren aus dem Westen eine Rolle spielt, ist schwer zu sagen. Eine kleine Rolle wahrscheinlich, weil man es sich gut gehen lässt und sie fühlen sich als die „Dummen“, die arbeiten müssen. Bei den Philippinos der unteren Ränge war immer die gleiche Freundlichkeit und Herzlichkeit vorhanden. Da gehört die Unterschiedlichkeit von Rängen und Stellungen auf dem Schiff zur Normalität des Lebens. Sobald jemand am Steigen ist, wird die Normalität hinterfragt und Neid ist nun mal oft ein Faktor, der dann ein gemeiner Lebensbegleiter wird, weil ein anderer immer noch ein Stückchen weiter oben steht.
Da gilt der Spruch: „Bist du neidisch, dann bist du nicht zu beneiden.“
5. Die Erfahrungen auf der CHOPIN waren sehr hilfreich und vielfältig und bestätigen meine Gesamteinschätzung meiner Reise mit der AGLAIA. Manchmal passt alles und manchmal nur manches. Solange es für eine schöne Reise reicht, passt es trotzdem bestens.
6. Wichtig zu wissen: durch die Praxis der 3,6,9-Monatskontrakte ändern sich die Besatzungen laufend. Bei der CHOPIN gehen 70% der Crew in Singapur von Bord und werden durch neue Leute ersetzt, z.B. auch der Schiffskoch. Dieser ständige Wechsel dürfte auch der Grund dafür sein, dass es nach einem größeren Personalwechsel wieder eine Zeit dauert, bis sich ein Team bildet, das zusammen arbeitet und nicht nur jeder seine Aufgabe erledigt. Es wäre durchaus möglich, dass sich inzwischen die Mannschaft auf der AGLAIA zu 50% geändert hat und schon kann alles ganz anders aussehen. – Für den Passagier ist die Brückenmannschaft der Kern für seine Kommunikation und der Steward. Dieser dürfte seinen philippinischen Kollegen durchaus ein paar Infos über den Passagier geben, wenn die danach fragen.
7. Dem Schiff mit Baujahr 2004 fehlt es mangels Personal, nicht vorhandenem geeigneten Pflegegerät oder Organisation an Deckpflege. Der schwarze Dreck der Schwerölverbrennung findet sich an vielen Stellen und dürfte sich dort auch schon seit einiger Zeit heimisch fühlen. Die V2A-Geländer am Pool sind angerostet, was auf mangelnde Pflege oder das Fehlen geeigneter V2A-Paste hinweist. Der Pool selbst dürfte schon längere Zeit nicht mehr gefüllt worden sein, wenn man sich die Verschmutzung des Beckens und der daneben liegenden Dusche anschaut. Eine britische Hausfrau würde diesen Bereich als „not amused“ bezeichnen, eine deutsche Hausfrau würde noch etwas kräftigere Worte benutzen. Wir sind aber nicht in Deutschland und Schweine werden auf dem Schiff auch nicht gehalten.
8. Zu Punkt 6 ein Beispiel über den Deckreinigungsvorgang. Dem neuen Kapitän waren wohl die Außendecks der Brücke zu schmutzig. Jedenfalls fingen dort Matrosen mit dem Wasserstrahlgerät an, den Boden zu reinigen, was zwar den Schmutz löst, aber durch den hohen Druck auch gut verteilt, auch auf die Wände und unteren Decks. Offensichtlich hat hier noch niemand daran gedacht, eine Kreiselbürste mit sofortiger Absaugung einzusetzen bzw. auf den Decks einen Putz/Saug-Reiniger. Das Abwasser müsste allerdings im Hafen als Sondermüll entsorgt werden, weil der Schwerölruß mit Sicherheit das Wasser in eine Giftbrühe verwandelt.
9. Die Verpflegung überreichlich. Zwei Drittel der Reise habe ich das bulgarisch / europäische Landessen mit täglicher Gemüse-Huhn- oder Rindfleischsuppe, Kartoffeln, Reis, Gemüse, Fleisch von Rind, Schwein, Huhn genossen. Danach habe ich auf „Sri Lanka“ –Essen umgestellt. Genauso reichlich mit stärkerer Reisorientierung und schärferer Würzung, Huhn (kein Hund) , Fisch und Gemüse. Jedenfalls immer zu viel, aber es schmeckte immer zum „Teller leer essen“. Neben Obstsäften und Wasser gab es für mich als Passagier zum Abendessen immer eine Flasche Wein und eine Dose alkoholfreies Bier auf den Tisch. Vom Wein trank ich ein Glas zum Essen und ein Glas nahm ich regelwidrig, aber immer gut sichtbar mit in die Kabine. Komischerweise stand am nächsten Abend wieder eine neue Flasche auf dem Tisch, was mich zugleich stutzig und neugierig machte. Vermutlich wird auch auf dem Schiff mit Wein gekocht oder die physikalischen Gesetze über die Verdunstung von Wein in Flaschen werden auf der Südhalbkugel der Erde tatsächlich auf den Kopf gestellt.
10. Ein Tipp zum Schluss: Auf der Brücke hängen die Schichtpläne der gesamten Mannschaft und an den Kabinen stehen immer die Namen der Crewmitglieder. Wenn man sich den Schichtplan fotografiert kann man sehen, wann der Kabinennachbar Schicht hat und wann er sich in der Kabine aufhält. – Da die Kabinen keine Musterschalldämmwerte aufweisen, kann man während der Schicht in seiner Kabine einfach sorgloser mit der Lautstärke umgehen. Sei es Musik hören, Musik machen – ich hatte meine Gitarre dabei – oder wenn man als Paar unterwegs ist… Ok?
Grundsätzlich werden wohl nach und nach die Brücken von billigeren, philippinischen Nachwuchskapitänen und Offizieren übernommen. Die machen den Job auf der Brücke genauso gut wie ihre weisen Vorfahren, die sich nach und nach an ihr Abwracken gewöhnen müssen. Durch die weitere Digitalisierung der Transportwelt, werden die großen Containerschiffe ohnehin weitgehend automatisch über Satellit, Umgebungssensoren, Seekarten-Navi und Radar gesteuert. Der AUTO-PILOT ist heute schon eine Selbstverständlichkeit. Für die Philippinos und die Reedereien wird es ein Win-Win Projekt. Für die Ostkapitäne bedeutet es das Ende ihrer Dienstfahrt. Meinem Freund Dariusz von der AGLAIA könnte es gerade noch bis zur Rente reichen.
Zur Reise auf dem Schiff:
Es war wieder eine äußerst erholsame Reise, unterbrochen von den zwei Häfen Adelaide und Fremantle. Eine wichtige und neue Erfahrung, von Bord zu gehen, etwas anzuschauen und am späten Nachmittag wieder im Hotel „Schiff“ zu sein. Das verkürzt die Reise rein gefühlsmäßig, weil die Tage an Bord unterteil werden in Etappen. In diesem Falle 4 Tage Melbourne-Adelaide, 5 Tage Adelaide – Fremantle und 7 Tage Fremantle – Singapur. Und es gibt einem irgendwie das Gefühl, irgendwo zu landen um dann wieder weiter zu ziehen. So fühlt es sich wohl an, wenn man irgendwann zum Weltenbummler geworden ist. Reisen, ankommen, weiterziehen. Eigentlich wie das gesamte Leben, nur eben ohne große Verantwortung für alles Mögliche. Das ist der kleine, aber wichtige Unterschied, was den Genuss der Reise ausmacht.

Heute, nach insgesamt 11 Tagen AGLAIA und 17 Tagen CHOPIN kann ich für mich sagen, dass diese Art von Reisen eine ideale Gelegenheit darstellt, runter zu kommen. Auch um sich Gedanken über den Tag hinaus zu machen, die sich nach einigen Tagen Schiff automatisch einstellen. Nur ein bisschen warten darauf, das musste ich lernen. Mit zwanghaften Versuchen, sein Inneres zu erkunden stellen sich erst einmal Enttäuschungen ein. Was jahrelang nach unten gepresst wurde, fliegt nicht innerhalb eines Tages in das Gehirn zurück, das bisher für das Pressen zuständig war.
In gleichem Maße löst man sich von der digitalen Informationsbesessenheit. Zwangsweise, weil die Internetverbindungen auf dem Ozean nicht immer, und wenn, nur teuer zu haben sind. Mir ist natürlich klar, dass der Begriff „teuer“ dehnbar ist. Jede Sucht definiert den Begriff „teuer“ für sich.
Und man lernt im Laufe der Zeit, mit sich umzugehen, sich einzuteilen, Zeit haben nicht als Langeweile zu bezeichnen sondern um zu genießen. Im Campingstuhl auf dem Außendeck sitzen, sprichwörtlich über das Wasser dahingleiten und den Gedanken freien Lauf lassen.
Wenn dieser Punkt erreicht ist, wird einem bewusst, was einem immer gefehlt hat. Zeit für sich.
Nach den eher philosophischen Ausflügen in die maritime Containerschifffahrt und die Gedankenwelt eines Reisenden folgt für Wissenshungrige noch ein Hinweis zum höchsten Sonnenstand im Norden und Süden incl. des Äquators. Nicht ganz unwichtig, wenn man sich Sommer und Winter auf beiden Halbkugeln der Erde vorstellen will.
Link: www.timeanddate.de/zeitzonen/

100 27.1.18 Singapur – Hotel – am 100.Reisetag komme ich nach Singapur
Mit der letzten Nacht genießen wurde nichts, aber überhaupt nichts! Statt um 22 Uhr war es 1 Uhr heute Nacht bis der Kahn den Kai küsste oder der Kai den Kahn. Die Formulierung ist bewusst gewählt, weil die über 5500 Containerkähne geradezu süchtig auf die Kais sind und andersrum genauso. Jede Bewegung bringt Geld in die Kaikasse auf der einen und in die Reedereikasse auf der anderen Seite. Der Kunde bezahlt und die Preise werden über den Markt geregelt, der in regelmäßigen Abständen Höhen und Tiefen erlebt. Im erst 7 Jahre alten neuen Containerhafen von Singapur wird das besonders deutlich. Hier gibt es – bereits nach so kurzer Zeit – auf jeden Fall zu wenige Kais für die vielen Kahn. Auch die CHOPIN musste zwei Stunden warten, bevor sich ein Kai von einem anderen Kahn verabschiedete und Platz machte für die Begegnung mit dem Komponistenschiff.

Ein neuer Milliardenhafen ist bereits im Bau, der 2020 in Betrieb gehen soll und lt. Planung 66 der weltgrößten Containerschiffe mit 20000 Containern gleichzeitig be- und entladen könne, zur Weiter-beförderung auf kleineren Frachtschiffen. Diese Zahlen nur, um die Dimensionen zu verdeutlichen, um was es hier geht. Wer in diesem Bereich nicht investiert, verliert. Ich legte mich jedenfalls ins Bett um noch einzuschlafen, bevor hier der Kranbär anfängt zu tanzen. War aber bereits zu spät. Kurz nach dem Wiedersehen griffen sich die Pranken von gleich drei Bären die ersten Container. Statt wiegender Wellen auf wogender See, gab es rumpelnde Kräne und fliegende Container. Aber auch dabei schläft man bei entsprechender Müdigkeit ein, bis …(später weiter)***

Der Hafen von Singapur ist der 3. größte auf der Welt und hier sehe ich in einem Hafen was Neues und erlebt die Dynamik des Zwergstadtstaates:
a) zig vor Anker liegende Schiffe als Lichtermeer im Meer , die auf einen Liegeplatz warten
b) ständige Abfahrten von riesigen Containerschiffen und Tankern
c) das weit schnellere Abladen durch die Ladekräne gegenüber Australien, wobei mir nicht klar ist, ob die Australier langsamer oder geistig/technisch nicht auf der Höhe der Zeit sind.
d) und damit auch, warum dieser Staat in so kurzer Zeit die Globalisierung für sich genutzt hat. Mit entsprechenden Konditionen kann man überall auf der Welt Investoren locken oder selbst investieren.
Ich würde mal sagen, ein Bienenhaus im Turboflug. Einfach ein, zwei oder drei Gänge schneller. Die Skyline habe ich heute Nacht fotografiert, leider bei Äquatorwetter in der Regenzeit. Aber im Prinzip wird auch Singapur sich in die Reihe stellen mit anderen Millionenstädten. Verkehr, hohe Glaspaläste, Parks und vor allem viele Menschen auf engstem Raum. Der Stadtstaat hat 5,7 Mio. Einwohner auf einer Gesamtlandfläche von 719 km2 oder 7800 pro km2. Hinzu kommen 1,2 Mio. Gastarbeiter. Da müssen die Menschen übereinander gepackt werden. Vielleicht sollte man sich auch Rat bei den australischen „Pack-together-Hotels“ holen. Aber vielleicht ist es auch eine wirklich andere Stadt, wenn man liest, dass die Menschen hier eine der höchsten Lebenserwartungen auf der Welt haben.

Nach 3 Tagen muss ich sagen, Singapur ist eine andere Stadt. Aber dazu mehr ein anderes Mal. Ich habe mir wegen der derzeitigen Revolution in Deutschland Zeit genommen mir ausgiebig Leitartikel und Kommentare der FAZ, dem Spiegel und der Zeit durchzulesen, um mich wieder auf die Höhe der Unzeit zu bringen. Neue Stars am grünen Politikerhimmel und alte Stars, deren Sterne am Sinken sind, wenn ich an die drei Unglücksraben Horst, Martin und Cem denke. Der Letztere hatte bei seinem Aufstieg in der Partei seine Herkunft als Pluspunkt. Endlich ein Vorzeigetürke bei den Grünen weit vorne. Die dadurch nicht zum Zuge gekommenen Nichtmigrationsbegünstigte werden jetzt wieder ihren Seelenfrieden gefunden haben. Auch die Art des Abservierens, alle Achtung. Gut gelernt beim Studium der anderen Parteien. Wer bei den Grünen nicht so hoch steigt, wie es Joschka Fischer gelungen war in den Anfangszeiten der Grünen, der fällt spätesten dann vom Baum, wenn sein Gesicht zu oft in Talkshows auftaucht und die ewig grünen Neidhammel in der Partei für die Stutzung auf Mittelmaß durch Abwahl sorgen. Ich erinnere mich an die Abwahl von Claudia Roth. Sie wird das Zeit ihres
Lebens nicht mehr vergessen. Für mich war es ein Grund, bei den Grünen nicht mitzumachen, weil sie sich für mich zu meiner möglichen Einstiegszeit und leider später auch, wie eine Abiturientenklasse benommen hat, die den Primus Inter pares nicht leiden konnten, weil er besser war wie sie oder weil er sich zu offensichtlich mehr ins Zeug legte. Damit aber Ende mit der Philosophie über die Grünen und deren Selbstverständnis.

Ich gehe morgen auf die CENTAURUS und bin dann für die nächsten 24 Tage internetmäßig auf Tauchstation.

Gruß aus Singapur – einer Stadt, die eine Reise wert ist, auch wenn sie trotzdem am Ende eine Stadt bleibt.
Wilfried